Was ist TEM?

Was ist TEM?

TEM – Traditionelle Europäische Medizin

1. Einleitung

  • Traditionelle Medizinsysteme, vor allem aus Asien, erfreuen sich seit vielen Jahren großer Beliebtheit. Doch auch in Europa gibt es seit jeher ein ganzheitliches Medizinsystem mit Tradition. Wir brauchen also nicht in die Ferne schweifen, wenn wir nach einer bewährten und wirkungsvollen Heilkunst suchen. Wir werden gleich vor unserer Haustüre fündig!

2. Definition der TEM

  • Die TEM bezeichnet die traditionelle Heilkunst Europas, die seit ca. 500 v. Chr. schriftlich bezeugt ist und heute als wirksame Ressource der Gesundheitssorge & Medizin wiederentdeckt und weiterentwickelt wird.
  • Die TEM wird eingesetzt zum Erhalt der Gesundheit, zur Vorbeugung, zur Diagnose und zur Verbesserung und Behandlung von körperlichen und psychischen Krankheiten.
  • Die TEM ist ein Kulturerbe, das allen Menschen gehört. Es ist dringend notwendig, dieses Erbe anzutreten, es zu schützen, weiterzuentwickeln, wissenschaftlich zu erforschen und allen Bürgern zugänglich zu machen.

3. Begriff und Aussprache

  • Neben der Bezeichung TEM sind alternative Bezeichnungen verbreitet: In der Schweiz heißt sie TEN = Traditionelle Europäische Naturheilkunde, weil sie dort vor allem von nicht-ärztlichen Naturheilkundepraktiker ausgeübt wird. Manchen Laiengruppen verwenden auch TEH = Traditionelle Europäische Heilkunde, weil sie nicht mit einem „medizinischen“ Anspruch auftreten möchten.
  • Die korrekte Umschreibung von TEM lautet „Traditionelle Europäische Medizin“, weil hier das „traditionelle“ richtigerweise als Adjektiv verwendet wird. Die Verbindung „Traditionell Europäische Medizin“ ist hingegen grammatikalisch falsch. In Sachen Aussprache ist die Version „te-e-em“ für TEM – parallel zu „te-tse-em“ für TCM – zu bevorzugen. Diese Zeilen sind aber natürlich mit einem gewissen Augenzwinkern formuliert: Wichtig ist, dass die TEM praktiziert wird; wie man sie nennt oder ausspricht, steht nicht an erster Stelle.

FAQ – 18 Fragen und Antworten

1. Was versteht man unter „Traditioneller Europäischer Medizin“?

  • Die traditionelle Heilkunst Europas, die seit 500 v. Chr. schriftlich bezeugt ist und heute als einen Ressource wiederentdeckt wird, weil viele Aspekte der TEM zur heutigen modernen Spitzenmedizin einen wichtigen Beitrag leisten können.

2. Welche Methoden und Techniken werden in der traditionellen Medizin Europas verwendet?

  • Die TEM hatte noch keine High-Tech-Geräte zur Diagnose und stützt sich daher bis heute auf unmittelbare Zugänge und Methoden, beispielsweise auf die Puls- und Zungendiagnose. In Sachen Therapie zieht die TEM alle Register: Ernährungsmedizin; Medikamente, vor allem aus Heilpflanzen; manuelle Verfahren und Anwendungen; heilsame Bewegung; und schließlich Meditation und psychologische Verfahren.

3. Wie lange existiert die traditionelle europäische Medizin schon?

  • So lange es Menschen in Europa gibt. Ötzi, die Gletschermumie, von ca. 3250 v. Chr. ist daher Teil der TEM. Schriftliche Quellen der TEM haben wir hingegen erst seit ca. 500 v. Chr.

4. Wie unterscheidet sich die TEM von der modernen westlichen Medizin?

  • Die moderne westliche Medizin ist auf Medikamente und auf Chirurgie hin fokussiert, was etwa in der Unfall- und Akut-Medizin eine große Stärke darstellt; sie bedient sich zudem neuester Medizintechnik, die  völlig neue Behandlungsansätze möglich macht. Die TEM ist hingegen sehr „ganzheitlich“ aufgestellt: Sie setzt etwa auf die „Breitbandwirkung“ von Heilpflanzen, manuellen Verfahren und Anwendungen etc. Sie liefert Bausteine, welche die moderne westliche Medizin perfekt ergänzen – ganz besonders im Bereich der Vorbeugung und der Behandlung von chronischen oder degenerativen Erkrankungen. Und die TEM arbeitet sehr „personalisierend“; das heißt: sie versucht einem bestimmten Patienten eine für ihn maßgeschneiderte Therapie anzubieten, was sie zwar ein wenig zeitintensiv aber eben auch treffsicher macht.

5. Welche Rolle spielt die TEM in der heutigen Gesellschaft?

  • Die traditionellen Medizinsysteme aus China, Indien und Tibet – die TCM, das Ayurveda und die TTM – spielen schon seit den 1970er Jahren in der Gesundheitssorge eine wichtige Rolle: nämlich als Erweiterung, Abrundung und Ergänzung der herkömmlichen Medizin im Sinne einer ganzheitlichen Integrativmedizin. Die TEM wird als ein ebenbürtiger Baustein gerade erst wiederentdeckt, aber ist inzwischen in einer Phase des Aufschwungs begriffen.

6. Welche Kräuter und pflanzlichen Arzneimittel werden in der TEM verwendet?

  • Die TEM bedient sich aller Heilpflanzen, die bei uns in Europa anzutreffen sind. Nachdem Europa aber seit Alexander d. Gr. und Karl d. Gr. in internationalen, globalen Handelsbeziehungen stand, waren von jeher auch Heilpflanzen und Gewürze aus Asien erhältlich. Seit der Entdeckung Amerikas bekam Europa dann auch Zugang zu den Pflanzen der neuen Welt. Kurzgesagt ist die TEM in ihren Heilpflanzen zugleich regional und global.

7. Wer sind einige bekannte Praktizierende der traditionellen europäischen Medizin?

  • Über TEM-Fachkreise hinaus haben im deutschen Sprachraum sehr viele Menschen von Hippokrates, Galen, Hildegard von Bingen, Paracelsus und Sebastian Kneipp schon mal etwas gehört. Unten findest Du eine Liste mit den „Who-is-who“ der TEM, mit vielen weiteren Vertretern.

8. Was sind die häufigsten Beschwerden oder Krankheiten, die mit der TEM behandelt werden?

  • Die TEM kann insbesondere für viele chronische und degenerative Erkrankungen sowie für Zivilisationserkrankungen therapeutische Bausteine anbieten: bei Rückenschmerzen und Problemen der Wirbelsäule; Bluthochdruck; Problemen des Fettstoffwechsels (Cholesterin); Grippe; gynäkologischen Beschwerden, akuter Bronchitis, Bauchschmerzen und Verdauungsproblemen. An sich gibt es aber kaum einen Bereich der Medizin, zu dem die TEM nicht mindestens einen unterstützenden Beitrag leisten kann.

9. Gibt es wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit der traditionellen europäischen Medizin?

  • Es gibt viele ausgezeichnete Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit der TEM, die allerdings nicht so bekannt sind, wie sie es verdient hätten – weder bei den praktizierenden Ärzten noch bei den Patienten. In der Pub-Med-Datenbank sind sie gut zu recherchieren, wenn man die englischen Begriffe, oder bei den Heilpflanzen die lateinischen Namen, eingibt.

10. Wie verbreitet sind TEM-Anwendungen, und gibt es spezielle Ausbildungen oder Zertifizierungen für deren Ausübung?

  • Die TEM ist ein New-Comer innerhalb der Integrativmedizin. Aus diesem Grund ist die Ausbildung und die Zertifizierung noch im Auf- und Ausbau begriffen. Während in der Schweiz ein mustergültiges System sowohl der Ausbildung zum als auch der Zertifizierung als „Naturheilkundepraktiker mit Schwerpunkt TEM“ existiert (die TEM wird in der Schweiz TEN genannt, mit N = Naturheilkunde), existieren in den meisten anderen Ländern zwar gute Ausbildungen aber eine noch unterentwickelte Zertifizierung, die es in der Zukunft zu verbessern gilt.

11. Welche Rolle spielen Ernährung und Lebensstil in der traditionellen Medizin Europas?

  • Die TEM behauptet, die Ernährung und der Lebensstil von heute seien die Gesundheit oder Krankheit von morgen und übermorgen, was sich durch die Forschung hieb- und stichfest nachweisen lässt. Die TEM-Ernährungslehre und die TEM-Lebensstil-Optimierung gehören daher zu den Kabinettstücken der TEM.

12. Welche Vorteile hat die Verwendung von Heilpflanzen der TEM gegenüber modernen Medikamenten?

  • Heilpflanzen sind Vielstoffgemische, die gerade bei chronischen und degenerativen Erkrankungen nebenwirkungsarm ein „breites Wirkspektrum“ entfalten, was ein großer Vorteil ist. Aus diesem Grund gibt es gegen Heilpflanzen nicht im gleichen Maße Resistenz-Entwicklungen, wie das bei Einzelsubstanzen passieren kann. In der Notfall- und Akutmedizin und bei gewissen Erkrankungen sind hingegen viele moderne Medikamente erste Wahl und alternativlos.

13. Gibt es Risiken oder Nebenwirkungen bei der Anwendung traditioneller europäischer Medizin?

  • Eine Therapie, die gar keine Risiken oder Nebenwirkungen hat, hat vermutlich auch keine besondere Wirkung. Die Anwendungen der TEM bergen natürlich Risiken und können auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Daher ist ein sorgsamer Umgang, eine geeignete Ausbildung und eine gewisse Reglementierung in der TEM unabdingbar: Manche Anwendungen bei einfachen Beschwerden sind absolut laientauglich. Andere Verfahren sind hingegen zu Recht professionellen Therapeuten oder Ärzten vorbehalten.

14. Kann die traditionelle europäische Medizin als Alternative zur Schulmedizin angesehen werden?

  • Insgesamt gesehen sollte man die TEM nicht als Alternative zur Schulmedizin ansehen, obwohl natürlich in vielen Fällen bestimmte Therapien der TEM alternativ zu gewissen Standardverfahren der Schulmedizin eingesetzt werden können. Die Gegenüberstellung von Alternativ- und Schulmedizin ist letztlich veraltet. Es ist heute kaum zu sagen, was eine sogenannte „Schulmedizin“ genau sein soll; und auch der Begriff „Alternativmedizin“ ist fragwürdig. Zielführender ist das Konzept einer Integrativmedizin, in der von Anfang an keine Gegensätze aufgerissen werden, sondern alle nachweislich wirksamen medizinischen Verfahren als Bausteine der einen Integrativmedizin aufgefasst und integriert werden. Bis dorthin scheint es noch ein weiter Weg zu sein, den wir aber gemeinsam Schritt für Schritt gehen sollten.

15. Bieten Krankenversicherungen in Europa Leistungen für die traditionelle europäische Medizin an?

  • Die gewöhnlichen gesetzlichen Krankenversicherungen bieten nur sehr begrenzt TEM-Leistungen an. In vielen Ländern gibt es aber freiwillige Zusatzversicherungen, die TEM-Leistungen übernehmen. Die Schweiz hat hier eine gewisse Vorbildfunktion: In der Schweiz gibt es die höchste Zahl an Versicherten, die TEM-Leistungen mit ihrer Versicherung abrechnen können.

16. Gibt es Forschungseinrichtungen oder Organisationen, die sich speziell mit der TEM beschäftigen?

  • Inzwischen Gottseidank ja: Auf der übernationalen Ebene hat sich das TEM-Forum als TEM-Dachverband im Werden positioniert. Ansonsten ist die Lage national sehr unterschiedlich: Die Institutionalisierung ist der Schweiz weit fortgeschritten und hat daher eine gewisse Vorbildfunktion; doch auch Österreich und Deutschland sind gut aufgestellt. Italien, Frankreich, Tschechien, Spanien etc. ziehen gerade nach.

17. Welche anderen traditionellen Heilsysteme gibt es neben der traditionellen europäischen Medizin?

  • In Europa verbreitet sind vor allem die TCM aus China, das Ayurveda aus Indien und die TTM aus Tibet. Sie haben mit der TEM viele Gemeinsamkeiten – etwa den ganzheitlichen Ansatz, den sensiblen Blick für den einzelnen Patienten und die besondere Bedeutung der Heilpflanzentherapie. Wer genau hinschaut, sieht aber auch die Besonderheiten der TEM, durch die sie sich von den anderen Medizinsystemen unterscheidet. Kurzgesagt ist die TEM die traditionelle Medizin, die durch ihre europäische Philosophie und europäischen Heilmittel besonders gut zu den Europäern und Europäerinnen sowie zu ihren Beschwerden oder gesundheitlichen Herausforderungen passt.

18. Hat sich die TEM im Laufe der Zeit verändert?

  • Ja, sehr, denn es handelt sich ja um eine über 3000-jährige Geschichte mit vielen Epochen und um ein Heilsystem, das in unterschiedlichen Kulturkreisen lebendig war. Die Frage bietet eine willkommene Gelegenheit zu einem historischen Porträt der TEM – jetzt weiterlesen!

TEM – eine 3000-jährige Erfolgsgeschichte

Die Eismumie Ötzi vom Similaun-Gletscher zeigt, dass die Ursprünge der europäischen Medizin sehr weit zurückliegen: Ötzi hatte vor über 5000 Jahren einen Birkenporling als Heilpilz und weitere Heilpflanzen mit im Gepäck; er trug akupunkturähnliche Tattoos, genau auf wichtigen TEM-Reflexpunkten. Nachdem wir in diese schriftlose Vorgeschichte der europäischen Medizin aber nur schwer zurückzustoßen können, darf man zurecht sagen, dass die TEM um ca. 500 v.Chr. ans Tageslicht trat und der Traditionsbogen bis heute nicht abgebrochen ist:

  1. Einige Inhalte der TEM gehen auf außereuropäische antike Hochkulturen zurück – so etwa bis ins Alte Ägypten oder nach Mesopotamien. In anderen Bereichen der TEM finden sich Spuren keltischer, germanischer oder altslawischer Heilkunst, die in der Volksmedizin über Jahrhunderte überlebt haben, bis zur Barockzeit und darüber hinaus. Allerdings wurde diese Heilkunde von schriftlosen Völkern und Gruppen gepflegt und über die Jahrhunderte vom Mainstream ins Abseits gedrängt, weswegen wir nur eine sehr eingeschränkte Kenntnis dieser Vor- oder Frühgeschichte der TEM und ihrem Weiterwirken durch die Jahrhunderte haben.
  2. Die TEM im eigentlichen Sinne darf man mit Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v. Chr.) beginnen lassen. Die Neufassung der Medizin, die mit dem Namen Hippokrates verbunden ist, fand in der berühmten griechischen Textsammlung „Corpus Hippocraticum“ ihren schriftlichen Ausdruck. Die Heilkunde wurde von da an über Jahrhunderte in verschiedenen griechischen und römischen Schulen ausgestaltet und vom in Rom tätigen griechischen Arzt Galenos von Pergamon (ca. 129–225) unter einem gemeinsamen Dach versöhnt und zusammengefasst.
  3. Weil die hellenistisch-römische Kultur in der Völkerwanderungszeit in Westrom ins Hintertreffen geraten und zum größten Teil untergegangen ist, ergab sich für die TEM eine neue Situation: Die griechisch-römische Heilkunde blieb zwar in Städten wie Konstantinopel, Rom und vor allem auch in Klöstern lebendig; gleichzeitig sprang aber der Funke in den persisch-arabischen Kulturraum über, der die Führung in der Heilkunde übernahm. Im Persischen Reich, und dort vor allem in Bagdad, wurde die griechisch-römische Medizin in einem Gemeinschaftsprojekt von Muslimen, Juden und Christen unter islamischer Schirmherrschaft ins Arabische übertragen, modernisiert und in übersichtlichen Handbüchern herausgegeben. Am bekanntesten ist der „Kanon der Medizin“ des persischen Arztes Ibn Sina (ca. 980–1037), lateinisch Avicenna. Sein Werk wurde im 12. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt und beeinflusste in den folgenden Jahrhunderten die Medizinausbildung in Europa.
  4. Ab dem 11. Jahrhundert ergab sich in Mitteleuropa eine spannende Situation der Wissenstransformation: Die Klostermedizin stand in höchster Blüte, daneben wurde die vorchristliche Volksmedizin weiterhin ausgeübt. Jetzt kamen die lateinischen Übersetzungen von Texten aus dem Osten hinzu und brachten einen Quantensprung des medizinischen Wissens. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Klostermedizin ist die Äbtissin Hildegard von Bingen (1089–1179), die Volksmedizin und Gelehrtenmedizin zusammenfasste. Weit weniger bekannt als Hildegard, aber nicht minder bedeutsam ist der Benediktinermönch Odo von Meung, der mit seinem Werk „Macer floridus“, das etwa um 1070 entstand, das wichtigste Heilpflanzenbuch der Klostermedizin verfasste.
  5. Ein Sprung in Richtung Professionalisierung ereignete sich in Salerno. In dem Benediktinerpriorat, also eigentlich einem Ort der Klosterheilkunde, gründete man ab 1077 die erste medizinische Universität Europas. Im Gefolge begann an Standorten wie Montpellier, Bologna, Paris, Padua, Wien etc. die universitäre Medizin zu blühen. Für die Versorgung der breiten Bevölkerung blieb freilich die Volks- und Klostermedizin maßgeblich. Akademische Ärzte widmeten sich beinahe ausschließlich finanzkräftigen Patienten und hatten meist gut dotierte Posten im Bereich des öffentlichen Gesundheitsmanagements inne; die eigentliche Gesundheitssorge lag meist bei nicht-ärztlichen Laientherapeuten.
  6. Eine wichtige Neuformation der Heilkunde unternahm der Universalgelehrte und Mediziner Paracelsus (ca. 1493–1541). Aus seiner Warte hatte sich der offizielle Medizinbetrieb von den Wurzeln der wahren Heilkunst weit entfernt und war zu einem bloß noch theoretischen und oberflächlichen Heilwissen verkommen. Er versuchte, verdrängtes medizinisches Wissen und Neuansätze einzubringen – ein Projekt, das gerade deswegen heftig diskutiert wurde, weil Paracelsus immer wieder zu provozieren verstand.
  7. Das überkommene Heilwissen der TEM wurde in der frühen Neuzeit fortgeschrieben und in mehreren Schüben aktualisiert. Bis zur Aufklärung ging es vor allem darum, den zum Teil revolutionären Neuentdeckungen Rechnung zu tragen. Der gerade gezeichnete Traditionsbogen kommt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts an einen gewissen Wendepunkt: Die von naturwissenschaftlichen Entdeckungen getragenen Neuaufbrüche (Zellularpathologie, Histologie, Physiologie, Chirurgie etc.) führten zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der Medizin. Die rein naturwissenschaftlich basierte Medizin entwickelte sich zur offiziellen Medizin, während das traditionelle Heilwissen deutlich in den Hintergrund trat.
  8. Seit der Formierung dieser ausschließlich naturwissenschaftlich fundierten Medizin haben sich allerdings zeitgleich – als Alternative oder Ergänzung – neue Heilsysteme entwickelt, größtenteils als Fortschreibungen älterer Heiltraditionen, unter der Bezeichnung Naturheilkunde. In diesen Zusammenhang darf man die Erfolgsgeschichten von Homöopathie, Kneipp-Medizin, F.X.-Mayr-Medizin, Osteopathie oder Anthroposophischer Medizin stellen. Besonders bekannt und zur Eigenanwendung geeignet ist die Heilkunde, die der Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821–1897) begründet hat. Zur Frage, ob diese Heilsysteme zur TEM zu rechnen sind, ist festzuhalten: Insofern diese Systeme eine Weiterentwicklung vormoderner Heiltraditionen Europas darstellen, müssen sie in einer Verbindung zur TEM gesehen werden. Insofern sich diese Heilsysteme als eigenständige Größen etablieren konnten und auch neue Elemente enthalten, die sich nicht an die älteren Traditionen anschließen lassen, steht nicht fest, dass sie zur Gänze unter den Dachbegriff TEM einzuordnen sind.
  9. Eine letzte Stufe der TEM wurde mit der Jahrtausendwende zum 21. Jahrhundert erreicht: Heute berücksichtigen und interessieren sich sowohl Laien wie Fachleute für die TEM als Ressource. Es geht vor allem darum, die nachweislich wirksamen und sicheren Elemente der TEM für die Gesundheitssorge zur Verfügung zu stellen.

TEM und ihr fünffacher Therapiefächer

In der Praxis der heutigen Mainstream-Heilkunde vieler hochindustrialisierter Länder dominieren die medikamentöse Therapie und Chirurgie, auch wenn das kurative Potential anderer therapeutischer Verfahren nicht geleugnet wird. In der TEM werden hingegen fünf Segmente eines therapeutischen Fächers gleichberechtigt genutzt:

  • Diätetik: An erster Stelle steht die ernährungsmedizinische Begleitung, weil die Auswahl der richtigen Lebensmittel die Gesundheit von morgen anbahnt. Selbst wenn eine Erkrankung nicht unmittelbar und allein durch eine diätetische Intervention korrigiert werden kann, wird diese therapeutische Unterstützung genutzt. Ernährungsberatung ist folglich der erste Schritt einer jeglichen TEM-Therapie.
  • Medikamente: Zugegebenermaßen lassen sich nur wenige Erkrankungen mit einer Ernährungsoptimierung allein zufriedenstellend behandeln. Die zweite therapeutische Hilfestellung, welche die Traditionelle Europäische Medizin zu bieten hat, ist daher die medikamentöse Therapie, die Heilmittel des Pflanzenreichs (Heilpflanzen), aber auch mineralische oder metallische Substanzen (Heilerde, Gold etc.) oder Mittel des Tierreichs (etwa Honig, Butter, Schmalz) nutzt.
  • Behandlung: Die dritte therapeutische Sparte kann man mit „Kunst der Hand“ oder chirurgia überschreiben. Die TEM meint damit die Applikation von Massagen und Physiotherapie sowie von manuellen Verfahren wie Schröpfen, Anwendungen mit warmen Eisen (Kauterien), warmen Steinen oder Feuertüchern; den Einsatz von Wickeln, von Hydro- und Balneotherapie oder weiteren physikalischen Therapien.
  • Bewegung: Zum ganzheitlichen TEM-Therapie-Schema gehört immer auch eine Bewegungs- und Leibtherapie, die man sich ein Stück weit wie Qigong in der TCM oder Yoga im Ayurveda vorstellen darf. Aus der Klostermedizin sind beispielsweise neun Übungen überliefert, die als heilsames Leibgebet funktionieren. Im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen England erachtete man therapeutisches Bogenschießen als probates Mittel, die eigene Resilienz und Stresskompetenz zu stärken. In der italienischen Medizin der Renaissance betonte man hingegen die Heilkraft des Tanzens.
  • Psychosomatik: Für ein rundes TEM-Therapie-Schema sind schließlich mind-body-medicine und spiritual care zu berücksichtigen. Das meint zunächst einmal psychotherapeutische Beratung und Behandlung, inkludiert aber auch den Bereich der Spiritualität.

Who-is-Who in der TEM (wird laufend ergänzt)

  • Hippokrates von Kos (460–370 v. Chr.): Gründungsvater der TEM, der uns seine ganzheitlichen Heilkunde schriftlich hinterlassen hat.
  • Galenos von Pergamon (129–216 n. Chr.): Griechischer Arzt und Universalgelehrter, der in Rom tätig war und etwa 200 Werke verfasste.
  • Pedanius Dioskurides (etwa 40–90 n. Chr.): Griechischer Arzt zur Zeit des Kaisers Nero, der ein Pionier der Pharmakologie war.
  • Walahfrid Strabo (807–849): Abt, Dichter und Verfasser eines der bedeutendsten botanischen Werke des Mittelalters.
  • Avicenna (980–1037): persischer Arzt, dessen ‚Kanon der Medizin‘ zu den führenden medizinischen Lehrbüchern gehört.
  • Albucasis (936–1013): andalusischer Arzt, dessen 30-bändige Sammlung medizinischen Wissens neue Standards setzte.
  • Constantinus Africanus (1010-1020 bis 1087): medizinischer Forscher und Übersetzer sowie Laienbruder des Benediktinerordens.
  • Ibn Butlan († 1065): irakischer christlicher Arzt, der medizinisches Wissen in einer nutzerfreundlichen Tabellen-Form präsentierte.
  • Symeon Seth (1035–1110): griechischer Diätetiker am Hofe in Konstantinopel, der griechische und östliche Traditionen synthetisierte.
  • Trota von Salerno (um 1100): TEM-Ärztin, die an der berühmten Medizinschule von Salerno studierte, praktizierte und lehrte.
  • Hildegard von Bingen (1098–1179): Äbtissin, Dichterin, Komponistin und Universalgelehrte mit einen eigenen Heilkundlichen Werk
  • Odo von Meugn (Mitte 11. Jh.): verfasste um 1065 ein Lehrgedicht über die gebräuchlichsten Heilkräuter, mit großer Wirkungsgeschichte.
  • Arnald von Villanova (1235–1311): katalanischer Arzt und Pharmazeut, der sich mit Alkoholdestillation und Tinkturen beschäftigte.
  • Ortolf von Baierland († 1290): Wundarzt aus Würzburg, der ein volkssprachiges medizinischen Lehrbuch für Laien schrieb.
  • Guy de Chauliac (1298–1368): Französischer Chirurg der sich in der Orthopädie, Anästhesie und Augenheilkunde verdient machte.
  • Gabriel von Lebenstein (um 1400): bayerischer Autor, der eines der ersten Bücher über Hydrolate verfasste.
  • Michael Puff von Schrick (1400–1473): Dekan der Medizinischen Fakultät Wien, der ein wichtiges Hydrolat-Buch geschrieben hat.
  • Hieronymus Brunschwig (1450–1512): Straßburger Wundarzt, der ein chirurgisches Werk und ein Destillierbuch schrieb.
  • Eucharius Rösslin (1470–1526): Frankfurter Arzt und Apotheker, der das erste bedeutende Handbuch zur Geburtshilfe verfasste.
  • Girolamo Fracastoro (1477–1553): Hochschullehrer in Padua, der mit seiner Ansteckungslehre die moderne Pathologie begründete.
  • Paracelsus (1493–1541): Schweizer Arzt, Alchemist und Laientheologe, der verdrängtes Wissen der TEM wieder ans Tageslicht hob.
  • Vinzenz Prießnitz (1799–1851): Schlesischer Landwirt und Naturheiler, der die Kaltwasserkur in Österreich und Deutschland erneuerte.
  • Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836): Professor der Medizin in Jena und Berlin, der Konzepte gesunder Lebensführung vorlegte.
  • Sebastian Kneipp (1821–1897): Priester aus Bayerisch-Schwaben, der als Hydrotherapeut und Naturheilkundler bekannt geworden ist.
  • Anna Fischer-Dückelmann (1856–1917): österreich-ungarische Lebensreformerin und Ärztin, die über die weibliche Sexualität schrieb.
  • Bernhard Aschner (1883–1960): Österreichischer Gynäkologe, der die Humoralmedizin und Paracelsusmedizin verteidigte.
  • Joachim Broy (1921–2003): Münchner Heilpraktiker, der sich um den Berufsstand und die Konstitutionslehre verdient gemacht hat.
  • F.X. Mayr (1875–1965): Österreichischer Gastroenterologe, der die Erforschung und Therapie des Darm-Mikrobioms begründete.